WEGE ZU BEUYS
WERKSTATTGESPRÄCH MIT ANDRES VEIEL, STEPHAN KRUMBIEGEL UND OLAF VOIGTLÄNDER
FORMSUCHE
KRUMBIEGEL Angefangen haben wir im Schneideraum im April 2015. Diese erste Zeit war eine Testphase. Erstens, weil ich noch nie mit Andres Veiel gearbeitet hatte, und zweitens, weil ich den Impuls hatte, den Film zusammen mit Olaf Voigtländer zu schneiden. Ich hatte geahnt, dass es ein Projekt sein würde, das über ein normales Maß von Komplexität und Anstrengung hinausgeht und ein besonderes Werkzeug braucht. Olaf und ich hatten vorher gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. Wir wussten, dass wir methodisch unterschiedlich arbeiten, aber in dem Moment, wo wir etwas anschauen und bewerten, sehr synchron sind. Vor allem aber war diese Testphase inhaltlich und gestalterisch eine Formsuche.
VEIEL Die Ausgangssituation war für mich anders als sonst. Ich kam in den Schneideraum, angefüllt mit dem, was ich vorhatte, und traf auf zwei Editoren, denen ich erstmal Vorträge gehalten habe. Und dann gab es die Erfahrung, dass die beiden gesagt haben, Andres, bleib’ doch mal draußen, wir gucken selbst. Das hat bei mir anfänglich zu einer gewissen Nervosität geführt. Aber das war auch eine wichtige Entwicklung, denn an einem bestimmten Punkt wurde mir klar: Die beiden müssen Beuys selbst entdecken.
VOIGTLÄNDER Wobei man sagen muss, dass die Rollenverteilung in der Zusammenarbeit ziemlich gut war. Uns wurde schnell klar, wo greifen die Aufgaben ineinander, wo sind die Sachen getrennt. Niemand hat die Rolle des anderen bezweifelt. Es war klar, dass die Lay Outs von mir kommen, das größere Überblicken von Stephan und die Arbeit am Wort von Andres, um inhaltlich durch den Film zu kommen. Und Andres war in der Lage, loslassen zu können und zu sagen, na gut, dann sollen die beiden mal machen.
VEIEL Meine Vorgabe bei Interviews ist normalerweise: Die Stelle, von da bis da, die ist relevant. Und dann ist Olaf aber fünf Sätze vorher eingestiegen. Ich dachte, gut, das schneiden wir nachher eh wieder weg. Aber am Ende ist manchmal genau das, was ich für wichtig erachtet hatte, rausgefallen. Vor allem Olaf war jemand, der von einer ganz anderen Seite gedacht hat, der gesagt hat, gut, du machst deine Inhalte, aber ich schaue jetzt nochmal auf die Szene, ich finde da noch was. Dadurch ging es assoziativ viel stärker in die dramaturgischen Nebeneingänge. Ich wollte immer durch den Haupteingang, und Olaf hat gesagt: Ich sehe da ein kleines Fenster, lass uns doch da mal einsteigen.
KRUMBIEGEL Uns ging es vor allem um eine Erzählung auf Basis der Atmosphäre von Szenen. Zu spüren, da herrscht diese oder jene Stimmung, da springt ein Raum an, den wir mit den passenden Bildern und Tönen von Beuys füllen können, da könnte sein Blick so oder so sein... Das hat Olaf und mich im Zweifelsfall stärker interessiert. Insofern haben wir uns mit Andres gut ergänzt. Am Ende blieb das, was beide Bedürfnisse erfüllt, die Stimmung und den Inhalt.
TALKING HEADS
KRUMBIEGEL Als Einstieg in das Material hat Monika Preischl uns die Archive vorgestellt und eine Art „Best Of“ geschnitten, damit wir einen ersten Eindruck kriegen. Ihre Rolle blieb sehr wichtig, den ganzen Prozess über. Wir konnten sie z.B. fragen: Gibt es noch irgendwelche Bilder, wo Beuys in einem Auto fährt? Vielleicht sogar in Farbe? Sie fand dann die kleinsten Schnipsel und die Szene gelang. Mit der Zeit haben wir uns das Archiv dann selbst angeeignet, auch die Beiläufigkeiten, diese tollen Momente, wenn ein Interview aufhört, aber das Band weiterläuft.
VEIEL Das große Fragezeichen für mich waren die Talking Heads. In der Tradition meiner früheren Filme gibt es ein klares Bekenntnis zum Talking Head, wenn eine gewisse Emotionalität,Figurentiefe und Nähe da ist. Die erste kleine Krise kam für mich, als ich gemerkt habe, dass dieser Geradeaus-Weg mit den Zeitzeugen nicht wirklich funktioniert. Ich dachte, wir würden ohne sie nicht auskommen, zum Beispiel beim Thema „Beuys und die Absturz-Legende“. Die einen behaupten, Beuys habe seinen Absturz als Funker im II. Weltkrieg verklärt. Er habe eine mythische Rettungsgeschichte durch die Tartaren erfunden, die ihn durch Fett und Filz gewärmt und ihm damit das Leben gerettet hätten. Andere Zeitzeugen halten die Geschichte für wahr. Wir haben Aussage gegen Aussage gesetzt, der Zuschauer sollte selbst urteilen. Und ich dachte, wo wir Reibung haben, wo wir Konflikt haben, können wir die Zeitzeugen auch halten. Aber genau an dieser Stelle zeichnete sich ab, dass es interessanter ist, mit Archivmaterial zu arbeiten und Beuys selbst beide Versionen erzählen zu lassen. Es ging hier eben nicht darum, dass Zeitzeugen sich zu Richtern aufschwingen, die urteilen, was wahr oder falsch ist. Wir schauen Beuys vielmehr dabei zu, wie er das gleiche Ereignis unterschiedlich beschreibt und bewertet. Und dabei stellt sich die Frage, warum er das tut. Die Antwort finden wir in seiner Kunst, etwa in „zeige deine Wunde“. Besser kann man von dem, was Traumatisierung ausmacht, nicht erzählen.
VOIGTLÄNDER Stephan und ich haben auf die Zeitzeugen-Interviews eher ablehnend reagiert. Die meisten sprachen langsam und aus der Distanz. Es fiel schwer, damit eine Nähe zu Beuys herzustellen. Der Rhythmus im Archivmaterial war dagegen stark durch Beuys vorgegeben, und seine Dynamik ging oft nicht so gut mit dem Rhythmus der Talking Heads zusammen.
VEIEL Für mich war das größte Aha-Erlebnis in dieser ersten Schnittphase die Sequenz, in der es um die Zeit von Beuys in der Luftwaffe geht. Wir hatten einen Zeitzeugen, der das sehr munter erzählt hat, aber man hatte immer das Gefühl, dass das so eine Art Laborerinnerung ist, mit viel Distanz erzählt, gleichzeitig auch mit wenig Selbstreflexion. Es gab einen Aspekt, der wirklich interessant war: Der Zeitzeuge beschrieb, was an der Luftwaffe so faszinierend war. Er erzählte von „den Helden der Lüfte“, Beuys und er wollten so sein wir sie. Und dann hat sich Olaf das Archivmaterial zum Thema vorgenommen, das Monika Preischl herausgesucht hatte. Er hat einen ganz eigenen Zugriff gefunden, der die Geschichte dieses Faszinosums aus der Perspektive von älter werdenden Kinder erzählt. Erst spielen sie mit einem selbst gebauten Flugzeug, am Ende sitzen sie als junge Männer selbst drin und werfen Bomben ab. Ich weiß noch, wie Stephan das gesehen hat und sofort sagte: Das wird so im Film bleiben. Und es ist geblieben.
KRUMBIEGEL Man sieht Kinder und Jugendliche in der Nazizeit, aber man denkt erstmal gar nicht an politische Verführung, sondern kommt langsam dahin. Auch die Ton-Gestaltung, nur Wind, keine anderen Töne, hat nichts Vordergründiges oder Drängendes. Es war sofort klar, dass das ein ganz besonderer Archivausschnitt war, Es ergibt sich ein Bild, wie Beuys es vielleicht selbst erlebt hat, und es war viel schöner, diese Verführung so zu erzählen als durch ein Interview.
AUFSTIEG UND FALL
VEIEL Für mich war sehr früh klar: Wenn man Beuys begreifen will, muss man sich mit seinen existentiellen Krisen beschäftigen: Die Krisen, die Beuys an die Grenze der Todeserfahrung geführt haben, wie seinem Absturz, aber auch der mehrjährigen Depressionsphase in den 50er Jahren und seinem Herzinfarkt in den 70er Jahren. Er hat diese Krisen nicht nur überlebt, er hat seine Heilung modellhaft von sich selbst auf einen kranken gesellschaftlichen Körper übertragen. Damit musste der Film sich mit diesen Brüchen beschäftigen und sie herausarbeiten. Das waren innere Konflikte. Es gab keine äußere Reibung, wie man sie sonst vielleicht in einem konflikthaften Film hat. Es reichte nicht, einen CSU-Abgeordneten zu zeigen, der sagt, die Skulpturen von Beuys sei der teuerste Sperrmüll aller Zeiten. Der größte Feind von Beuys waren eben nicht solche Kleinbürger, sondern er selbst – der eigene Tod. Er hatte noch so viel vor, er wollte noch so viel. Und in der Tat hat er in den letzten Jahren sich verschlissen „bis zur Asche“. Er wollte es nicht akzeptieren, dass der Tod näher rückt. Und deshalb hatten wir in der ersten Schnittversion genau davon erzählt: Der Kampf mit sich selbst, ein Überlebenskampf auf den letzten Metern. Den er verliert, verlieren muss. Und das war aber die Falle des Biografischen.
Ende November 2015 hatten wir eine Fassung, die wir intern vorführen konnten. Wir hatten einen emotionalen Bogen, der in den Verschleiß´ von Beuys führte, in das Sich-abarbeiten, Geld aufzutreiben für die 7000 Eichen, nach Japan zu fahren, und dann kommt auch noch der Schlag mit den Grünen. Wir sehen einen einsamen alten Mann in einer Abflughalle in Tokyo, der zum Ausgang schleicht. Als Musik hatten wir versuchsweise Satie draufgelegt, und mir kamen die Tränen. Ich habe die beiden umarmt und gesagt, großartig, wenn ich schon so berührt bin, dann ist es gut. Um dann aber festzustellen: Es ist nicht gut! Erstens, weil wir plump in der Biografie bleiben, Beuys linear von der Geburt bis zum Tod erzählen. Aber viel drastischer war für mich die Erkenntnis: Das ist eigentlich eine sehr deutsche Haltung. Wir bauen einen Helden auf, um dann zu sagen: Gescheitert, gegen die Wand gelaufen, politisch und persönlich. In diesem Moment war mir klar, dass wir dieses emotionale Ende, das für sich genommen seine Stärke hatte, wieder aufgeben müssen.
VOIGTLÄNDER Es ging uns darum, inwiefern Beuys heutig ist, inwiefern er uns vielleicht heute auch fehlt. Die große Frage war immer: Wie kann man das erzählen? Und wenn wir mit dem Tod von Beuys enden, dann ist das alles abgeschlossen. Das war’s, Deckel drauf und zu. Dann noch viel Archivmaterial, das leicht veraltet oder hermetisch wirken kann ... Wie löst man das, wie bricht man das auf? Darum ging es.
KRUMBIEGEL Ich habe eigentlich immer einen Widerstand gegenüber Formaten oder bekannten Erzählmustern. Man kann nicht eine Erzählform nehmen und damit ein Material formen. Das Material hat immer eine eigene Kraft. Und ausgerechnet auf jemandem wie Beuys, bei dem es so sehr um Provokation, um Freiheit und Widerstand geht, mit einem Erzählmuster zu antworten – das erschien falsch. Am Ende bleibt die Frage: Was ist an Beuys heute noch relevant? Und wie finden wir für den Film eine Form, die ihm nichts davon nimmt?
DRAMATURGIE UND DETAIL
VEIEL Die Krise nach der ersten Schnittfassung kam daher, dass wir den linearen emotionalen Bogen, den wir in dieser Novemberfassung hatten, aufgelöst haben. Und die Verunsicherung, dass wir noch nicht am Ziel waren, war offensichtlich. Aber will man wirklich dahin zurückgehen, den Film mit Reportagematerial zu eröffnen, das keinerlei emotionale Nähe hat? Ähnlich war es mit dem Ende, wo ich immer wusste, dass ich über Beuys und seine Vorstellungen von einem anderen Wirtschaftssystem erzählen will: Das war auch eher unsinnliches Material, ohne emotionale Nähe. Noch dazu mit einer unzugänglichen Sprache: Beuys argumentiert mit Begriffen aus der Wirtschaftslehre von Rudolph Steiner. Sie haben den Film sperrig und unzugänglich werden lassen. Aber was ist es dann? Diese Suche war für mich die härteste Phase.
VOIGTLÄNDER Der Film sollte für jedermann zu–gänglich sein sollte, egal ob er Beuys kennt oder nicht. Aber unsere Novemberfassung war eigentlich nur mit einem biografischen Hintergrundwissen verständlich. Das war auch ein wichtiges Motiv zu sagen, ok, wir setzen uns wieder dran und nehmen das noch einmal auseinander.
VEIEL Wir haben uns die Freiheit genommen, auch in Sackgassen zu gehen. Wir hatten zum Beispiel eine wunderbare Sequenz gebaut, mit „Schneefall“ von Beuys, die assoziativ schön gepasst hat zu dem schwierigen Thema der Auseinandersetzung von Beuys mit Auschwitz. Dazu hatten wir ein Interview, wo sich Beuys dezidiert äußert und man merkt, dass es da eine ziemliche Ambivalenz zwischen Auseinandersetzung und Verdrängung gibt. Ich war be–geistert und dachte, wir haben das gelöst, wir haben uns dem Thema gestellt. Aber dann haben wir vom Rhythmus her gemerkt, dass wir viel zu lange in der Krise bleiben. Als ob wir Rechenschaft ablegen müssten, wie seine Auseinandersetzung mit dem Thema aussieht. Und deswegen war diese Passage, an der wir lange geschnitten und gefeilt hatten, plötzlich wieder draußen.
KRUMBIEGEL Es gab ein Stichwort zwischen Olaf und mir: „Bauen!“ Bauen hieß, dass wir für eine Ein-Minuten-Strecke, die irgendwo im Film sitzt , den gleichen Anspruch an Gestaltung, Tempo und Überzeugungskraft legen wie an den Rest. Man kann nicht einfach nur Bilder austauschen, sondern muss die neue Strecke auf dasselbe erzählerische Level bringen, egal, ob wir es hinterher verwerfen oder nicht.
VOIGTLÄNDER Es ging gar nichts anders, als auch im Detail immer sehr weit zu gehen und viel Zeit zu investieren. Es war schwer zu abstrahieren oder nur von einer Skizze aus zu denken. Dann wären viele Sachen schon zu früh wieder rausgeflogen.
LÖSUNGEN
VEIEL Für mich war immer klar, dass der Ausgangspunkt, auf den es hinausläuft, wo Beuys für mich heutig ist, die Debatte über Ökonomie und Geld ist. Das wollte ich am Ende haben. Und ich wusste, wenn wir das nicht schaffen, dann kommen wir nicht über die Klippe. Letztlich sind wir in den Monaten nach der Novemberfassung vor allem zwei Dinge angegangen. Für das Ende war klar, dass wir versuchen müssen, einen Teil der 7000 Eichen vorher zu erzählen, damit wir nicht mit dem Tod von Beuys enden. Wir befreien die 7000 Eichen von allem, was Richtung Verschleiß und Tod geht. Wir erzählen sie nicht als Existenzkampf, sondern positiver, wir versuchen, die Energie, die im Wachstumsprozess der Bäume steckt, im Film weiter nach vorne zu transplantieren. Das war der erste große Schritt. Und der zweite große Schritt war das Ringen mit dem Anfang.
VOIGTLÄNDER Der ganze Prozess hat dann eigentlich noch einmal so lange gedauert wie die Arbeit bis zur ersten Schnittfassung. Im Prinzip war es derselbe Weg nochmal. Aber wir hatten jetzt eine Grundlage. Mit einer Vorlage zu arbeiten, ist anders als aus dem Nichts zu arbeiten.
KRUMBIEGEL Ein wesentlicher Punkt war, die einzelnen Episoden der Biografie nicht chronologisch auszuerzählen. Es ging uns darum, einen Weg zu finden, immer bei Beuys zu bleiben, auch über Zeitsprünge und Ortswechsel hinweg. Wir wollten das über das Gefühl lösen: Wo befinde ich mich mit Beuys, in diesem Moment. Dann fiel es leichter den häufigen Wechseln im Material zu folgen, von Farbe auf Schwarzweiss, von einem Foto in Video oder Filmmaterial, von einem Audio ins nächste. Damit das Gefühl bleibt, es kommt alles organisch aus einer Figur.