Director's Note
Beuys hat mich geprägt, schon als Jugendlicher in den späten 70er Jahren. Er sah in der Kunst eine Kraft, um in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Kunst sollte die Wände der Museen aufbrechen, nach draußen wirken. Seine Arbeiten sah er als Katalysatoren, als Kraftspeicher und Batterien gesellschaftlicher Veränderung. Beuys war von der Einzigartigkeit des Menschen überzeugt. Er sah in jedem Menschen ein Potential von aktiver gesellschaftlicher Gestaltungskraft. Geschichte passiert uns nicht nur, sondern wir sind es selbst, die sie gestalten.
Die Auseinandersetzung mit Beuys hat mich bei all meinen Filmen und Stücken begleitet. Ich arbeitete in der Gefängnispsychiatrie mit Menschen, die durch Medikamente ruhiggestellt und 24 Stunden eingesperrt waren. Ich las die Gefängnisakten über sie. Dort wurden die Gefangenen nicht als Menschen beschrieben, sondern als schwer gestörte Monster, voller Defizite und Risiken. Ich habe die Dossiers weggelegt, holte die Gefangenen aus den Zellen raus, entwickelte mit ihnen ein Stück, in dem ihre Verstörtheit einen körperlichen Ausdruck fand. Ich setzte da an, wo sie etwas zu sagen hatten.
Auch meine späteren Arbeiten rückten den Prozess des Gestaltens in den Mittelpunkt. Das Werk selbst, egal ob Film oder Theaterstück, war nur Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem Publikum. Im besten Falle wurde es überflüssig, wenn Menschen sich in einem Saal zusammenfanden, feststellten, dass sie ähnliche Fragen haben und sich verabredeten, diese gemeinsam anzugehen.
In diesem Sinne war Beuys für mich Pate, Wegbegleiter, Sparringpartner. Nicht immer habe ich ihn verstanden: Manchmal verstieg er sich in Begrifflichkeiten, mit denen ich nichts anfangen konnte. Dann war er weit weg, tauchte aber immer wieder überraschend auf.
Ich habe mich oft gefragt, warum Beuys zu den wenigen Menschen gehört, die ich auch nach Jahrzehnten nie hinter mir lassen musste. Vielleicht liegt es daran, dass er seine Irrtümer mit Humor ertragen hat. Dass er unvoreingenommen mit jedem geredet hat -was nichts anderes hieß, als dass er jeden Ernst genommen hat, auch in seinem Anders-Sein. Es war der Hase in Beuys, der mich immer wieder überraschte. Und dem ich zugetan blieb.
Mein Film über Beuys folgt dieser offenen Nähe. Im Lauf der Jahre hatte ich viele neue Fragen an ihn, in der Auseinandersetzung mit den Materialien von und mit ihm bin ich ihnen nachgegangen. Vieles lasse ich weg, Vollständigkeit hat mich nicht interessiert. Zugleich ist er für mich auch nach jahrelanger Auseinandersetzung immer noch ein Mensch, der sich entzieht, der in vielen Bereichen voller Widersprüche ist und damit voller Geheimnisse. Deshalb war mir eine offene, assoziative Erzählweise wichtig, die Raum lässt für eine eigene Haltung Beuys gegenüber und die Möglichkeit gibt, Beuys selbst zu entdecken. Womöglich mit einem Lachen.